Absender verzogen

Empfänger unbekannt

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Kaufmann & Co.: „Absender verzogen - Empfänger unbekannt“

An der Schaubude Berlin hatte ein Brief-Roman im Hörfunkstudio Premiere.

In ihrem Zwei Frauen-Stück „Absender verzogen - Empfänger unbekannt“ messen Alexandra und Eva Kaufmann das große Themenfeld Flucht und Migration, Heimat und Fremdsein aus. Ein Abend, der einen Nachhall noch über den Schlussapplaus hinaus hat.

Sie simulieren ein Hörfunkstudio, in dem sie Texte lesen und immer wieder eine Klangumgebung erzeugen. Letzteres verzaubert… wenn sie am Ende des Stücks einen Space Walk, einen Ausflug in die Schwerelosigkeit, kreieren. Da fährt der Finger den Rand eines halb gefüllten Glases entlang und erzeugt die Schwingungen, die einen tatsächlich einen Raum jenseits der Stratosphäre annehmen lassen. Der rote Lichtpunkt inmitten der großen Uhr macht endlich Sinn als Roter Riese im All. Und auch die Lichtreflexe des Mobiles tragen das Ihre zur gelingenden Illusion bei.

… reichern die beiden Spielerinnen den aktuellen Kontext mit Briefen aus anderen Zeiten an. Flucht heute wird mit Emigration in den 1930er Jahren verwoben, auch mit der noch früheren Auswanderung nach Amerika. Diese Perspektivwechsel erinnern daran, dass Europa auch einmal Auswandererkontinent war und nicht nur begehrte oder vermeintlich begehrte Destination mit all den sattsam bekannten Tendenzen des Verschließens und Abweisens. Eine vergleichsweise neue Note bringt die Erzählung über tierische Protagonisten wie Perserkatzen. Integration wird hier zur (Haustier-)Assimilation. Das Machtgefüge zwischen Aufnehmenden – durchaus wohlgesinnt Aufnehmenden, zumindest anfangs – und Aufgenommen werdenden wird bereits durch wenige Sätze deutlich. Sehr effektvoll ist auch das Verlesen des Briefs den eine Familie an ein Tierheim schickt. Sie beklagt sich darin bitter über die mangelnde Anpassungsfähigkeit der von dort bekommenen Katze und droht mit Reputationsverlust für die Einrichtung. Ein fabelhafter Kipp-Moment im oft stereotypen Diskurs um Geflüchtete, um Integration, um Ein- und Auswanderung. Überraschend ist schließlich die Tiefenwirkung des Abends. Auf der Oberfläche handelt er eine sattsam bekannte Thematik ab.

Noch Stunden nach Vorstellungsende tauchen aber einzelne narrative Fäden, einzelne Protagonisten und Figuren aus diesem Erzählarrangement über Fremdheit und Weggehen, über Begegnung und über das Schaffen von einem Zuhause im Bewusstsein wieder auf. Ein Theaterabend mit Nachhall – das erleben erregungsgestählte Gemüter der Gegenwart auch nicht jedes Mal.

Tom Mustroph/ Die aktuelle Kritik /fidena.de

Wir

Sie sind fort, aber ihre Briefe sind geblieben


Aus dem papiernen Rascheln von Dokumenten können Geschichten werden-zusammengesetzt aus wenigen Worten. Aus den unbekannten Namen der Absender und Empfänger können Figuren, Menschen werden, die zu leben scheinen, mögen sie inzwischen auch noch so tot sein. Was die Puppenspielerinnen Eva Kaufmann und Alexandra Kaufmann (nicht verwandt) aus dem auf der Flucht entstandenen Spielmaterial machen, ist dennoch kein strenges Dokumentartheater, sondern knüpft an ihre versonnen – versponnene epische Poetologie der hingetupften Bilder und Anfänge an – grundiert von der Reflexion des eigenen wunderlichen Tuns auf der Bühne. „Absender verzogen – Empfänger unbekannt“, ein Hörspiel zum Gucken, schließt die Trilogie „Fremde Heimat“ von Kaufmann & Co. ab.

Berliner Zeitung, Ulrich Seidler, 22.03.2019